Kaumuskeldegeneration
#1
Kaumuskeldegeneration

oder auch Kaumuskelatrophie genannt ist eine unerforschte, aber gefährliche Erkrankung beim Meerschweinchen.

Die Ursache kennt man (noch) nicht und auch bei Obduktionen toter Tiere ließ sich bis jetzt kein Erreger finden. Allen gestorbenen Tieren ist doch gemein, dass die Kaumuskulatur degeneriert (zurückgebildet) war und zwar in solchem Maße, dass die Tiere nicht mehr fressen, kauen oder am Ende gar schlucken konnten.

Dennoch, auch wenn die Krankheit und ihre Ursache noch unerforscht ist und sich viele vor solch einer Diagnose fürchten, eine wirkliche Kaumuskeldegeneration scheint eher selten zu sein und ähnlich wie bei der legendären "Meerschweinchenlähme" wird sie oft fehl diagnostiziert. Das heißt, Tierärzte lesen in ihren Fachzeitschriften von dieser ominösen Krankheit und plötzlich hat jedes Tier, das nicht mehr frisst, eine Kaumuskeldegeneration und muss eingeschläfert werden. Also hier muss man vorsichtig sein:

Wenn ein Tier das Fressen einstellt oder schwerfälliger und mit verzehrtem Gesicht frisst, sollte man folgende Ursachen tierärztlich abklären lassen:

Sind die Zähne in Ordnung (Zahnspitzen, Brückenbildung, lockere Zähne). Das sollte unter Narkose genau untersucht werden, auch gerne mit einem Röntgenbild des Kopfes

Hat das Tier Abszesse/ Geschwüre /Verletzungen im Mund? Oder andere Anzeichen einer Entzündung der Schleimhaut? Oder sitzt die Entzündung vielleicht eher in den Knochen (Kieferentzündung)?

Hat das Tier vielleicht Durchfall/Verstopfung, vermehrten Speichelfluss, Blähungen oder Ähnliches? Magen- und Darmprobleme sind oft durch verändertes Fressverhalten zu erkennen. Hier können Parasiten, Hefepilz oder Anderes Schuld sein.

Hat sich seit der Erkrankung etwas verändert im Gehege? Auch eine Vergiftung kann man nicht ausschließen...

Hat das Tier Fieber oder ist es unterkühlt?

Kann das Tier noch trinken?

Hat das Tier Antibiotika bekommen und frisst deshalb nicht

Sind die Leber und Nierenwerte in Ordnung (Bluttest). Auch dies hat Einfluss auf den Appetit.

Ist das Herz in Ordnung.

Hat das Tier einen Darmverschluss oder Tumore im Körper. Das kann mit einem Röntgenbild abklären.
Wie äußert sich eine Kaumuskeldegeneration?

Die Meerschweinchen sitzen vor dem Futter und können schlichtweg nicht fressen. Sie wühlen wie bekloppt das Futter durcheinander und schaffen es nicht abzubeißen oder kauen. Das ist das Erste was man beobachtet. Die Gründe hierfür liegen in der Zurückbildung der Kaumuskulatur und dadurch kann das Tier nicht mehr Abbeißen und Kauen. Schmerzen spielen hierbei aber auch eine Rolle, vor allem bei vorgeschrittener Erkrankung.

Man kann das Tier im Anfangsstadium der Kaumuskelzurückbildung noch gut päppeln und sie nehmen den Critical Care Brei meist heißhungrig aus der Spritze. Später dann, falls die Behandlung nicht anschlägt und die Zurückbildung der Muskulatur voranschreitet, können sie irgendwann nicht mehr schlucken und man sollte sie dann erlösen lassen.

Aber wie gesagt Vorsicht: Dieses Verhalten des Durchwühlens des Futters, ohne etwa zu fressen oder fressen zu können, ist auch bei vielen anderen Krankheiten (allem voran bei Zahnproblemen) zu beobachten. Hierbei basiert das Nicht-Fressen eher auf Appetitlosigkeit oder Schmerzen beim Fressen und nicht auf der Degeneration der Kaumuskulatur. Als Laie kann man dies nicht unterscheiden und selbst Tierärzte (ohne Erfahrung auf diesem Gebiet) haben Probleme eine Zurückbildung der Muskulatur zu ertasten.

Es muss darum erst alles andere definitiv ausgeschlossen werden, bis man diese Diagnose ernsthaft in Betracht ziehen sollte.
Ursachen

Überlegungen von Fachleuten und Tierärzten gibt es genug, leider kaum brauchbare Ergebnisse. So wurden schon genetische Ursache, virale Entzündungen und Ähnliches diskutiert, aber nichts konnte bewiesen werden.

Es kann durchaus auch sein, dass die Kaumuskeldegeneration eine Sekundärerkrankung ist. In Relation Körpergewicht zu Muskelmasse betrachtet ist der Kaumuskel der Meerschweinchen (Muskulus masseter) der größte überhaupt bei Säugern vorkommende Muskel. Sein Job ist es, "23 Stunden" am Tag hart zu arbeiten. Wenn er das nicht macht, verliert er schnell an Substanz und bildet sich zurück. Falls also das Meerschweinchen bedingt durch eine andere Erkrankung das Fressen einstellt, kann es sekundär zu einer nicht aufzuhaltenden Kaumuskelzurückbildung kommen. Verliert ein Meerschweinchen plötzlich rapide an Gewicht, dann greift der Körper auch die Muskulatur neben den Fettreserven zur Energiegewinnung an und baut sie ab. Wenn dann die Kaumuskulatur gerade nicht gebraucht wird, da ein Meerschweinchen nicht frisst, dann wird dieser Muskel, da er groß und energiereich ist, als Erstes abgebaut.

Es wird aber auch ein Selenmangel diskutiert. Bei Rückbildung der Muskulatur werden Abbauprodukte des Stoffwechsels frei, welche andere Zellen zerstören könnten. Die Entsorgung dieser Abfälle ist eine der Aufgaben des Selen. Selenmangel könnte also eine Degeneration beschleunigen.

Dr. Hermann Wenzel ist der Ansicht, dass bei beinahe all diesen "Kaumuskelatrophien und Kaumuskeldegenerationen" die Ursache darin liegt, dass die Tiere - aus welchem Grund auch immer - nicht richtig fressen. Die Muskulatur bildet sich zurück, Abbauprodukte sorgen für Stoffwechselstörungen, die den Tieren dann den letzten Appetit nehmen. Dabei muss gar keine Unterversorgung mit Selen vorgelegen haben, der akute Bedarf ist aber so groß, dass er über das normale Futter nicht mehr ergänzt werden kann. So kann man davon ausgehen, dass ein Selenmangel nicht die Ursache der Erkrankung ist, sondern erst im Verlauf zusätzlich entsteht.

Es könnte im Einzelfall auch sein, dass eine Autoimmunrektion zu gleichen Erscheinungen führt. Diese Theorie stammt von Dr. Peter Neu. Er hat mehrere Tiere untersuchen lassen, dabei wurden die gleichen histologischen Veränderungen festgestellt, wie bei der "eosinophilen Myosits" des Hundes. Eine adäquate Therapie mit Vitamin E, Selen und Kortison war bei späteren Patienten dann teilweise erfolgreich.

Ähnliche Krankheiten gibt es außer beim Hund auch beim Pferd (Kreuzverschlag, Feiertagskrankheit, Lumbago) und beim "richtigen" Schwein (Bananenkrankheit), die in jedem Fall eines gemeinsam haben - sie sind hochgradig schmerzhaft und können akut lebensbedrohlich sein.
Behandlung

Obwohl es eigentlich immer hieß, man könne nichts machen, gibt es doch einige Erfolgsmeldungen bei der Behandlung:

Zum einen stellten sich viele diagnostizierte "Kaumuskeldegenerationen" als falsch heraus und die Meerschweinchen hatten schwer zu entdeckende Zahnprobleme, Kieferentzündungen oder ein Nierenleiden) und konnten geheilt werden.

Bei einer echten und tastbaren Kaumuskeldegeneration gab es Erfolge mit Cortison, Vitamin E, B und Selengaben. Natürlich muss auch Schmerzmittel gegeben werden, da diese Krankheit sehr schmerzhaft zu sein scheint.

Aber dennoch schaffen es viele Meerschweinchen nicht, ob nun falsch behandelt oder richtig behandelt aber zu spät behandelt oder wenn die Behandlung einfach nicht anschlägt, und die unheilbar erkrankten Tiere müssen am Ende eingeschläfert werden.
Fazit

Folgende Punkte sollte man beachten:

Bei Appetitlosigkeit und Fressunvermögen sollte man immer genau nach den Ursachen suchen und suchen lassen und nicht vorschnell tierärztlichen Diagnosen vertrauen: Ein Blick auf das Tier und der Tierarzt weiß, was es ist, reicht nicht.

Wenn ein Tier nicht fressen mag, sollte man zumindest eine Kaumuskeldegeneration im Blick behalten. Sie mag nicht die Ursache sein, aber sie könnte bei längerer Futterverweigerung zusätzlich zur eigentlichen Ursache entstehen. Das bedeutet, man sollte eine rapide Gewichtsabnahme durch Päppeln verhindern, denn bei akutem Gewichtsverlust, greift der Körper den Kaumuskel an. Das Tier sollte auch immer wieder zum eigenständigen Kauen und Fressen animiert werden, damit der Muskel in Betrieb bleibt (Schmerzmittelgaben helfen eventuell ganz gut dabei). Man sollte auch gerne Vitamin E und B und Selen geben zur Vorsorge und Stärkung.

Die Selenversorgung sollte generell gesichert sein. Selenhaltig sind Getreidekörner, Haferflocken, Kohlrabi und Spinat. Man kann zur Zeit nicht ausschließen, dass eine Selenunterversorgung der Auslöser dieser Krankheit ist.



@Petra Lahann (Artikel aus meerschweincheninnot.de / 14.07.2009)
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste